kmk for.mat Beratung

1. Grundverständnis
 
  1.1    Anforderungen an die Schulen heute

Ein umfassender Bildungsbegriff geht heute weit über Wissensvermittlung und
"herkömmlichen" schulischen Unterricht hinaus. Bildung bedeutet die Entwicklung der
gesamten Persönlichkeit, die Vorbereitung auf künftige Lebensabschnitte durch die Nutzung
von Wissen und die Möglichkeit zum Weiterlernen sowie die aktive Teilhabe an der
Gesellschaft. Bildung soll und muss dazu beitragen, soziale Unterschiede auszugleichen und
die Zukunftschancen jener zu verbessern, deren Ausgangsbedingungen ungünstiger sind.

Bereits in der Vergangenheit waren bildungspolitische Ziele so ausgerichtet, dass soziale und
kulturelle Benachteiligungen aufgehoben oder zumindest eingegrenzt werden sollten. Die
Ergebnisse der PISA-Studie haben jedoch wiederholt nachdrücklich gezeigt, dass dies bisher
nur ansatzweise verwirklicht werden konnte.

Damit Kinder und Jugendliche angemessen auf die Anforderungen der Wissensgesellschaft
des 21. Jahrhunderts vorbereitet werden können und die angedeuteten Chancen-
Ungleichheiten reduziert werden, müssen sich Schule und Unterricht deutlich verändern. Eine
"neue Lernkultur" muss etabliert werden.

Schulische Lernerfahrungen bilden wesentliche Grundlagen für ein lebenslanges Lernen.
Daher muss Unterricht heute systematisch den Erwerb von fachlichen und überfachlichen
Kompetenzen integrieren und in seiner Zielprojektion konsequent die Vermittlung einer
umfassenden Handlungskompetenz verfolgen. Nur so kann es gelingen, dass Schülerinnen
und Schüler bis zum Ende ihrer schulischen Laufbahn die Kompetenzen erwerben, die
notwendig sind, um in den Situationen bestehen und erfolgreich handeln zu können, die für
ihre persönliche und berufliche Entwicklung von Bedeutung sind.

Gesellschafts- und erziehungswissenschaftliche Analysen zur Lebens- und Lernsituation
heutiger Kinder und Jugendlicher bestätigen diese Auffassung nachhaltig und verweisen
ebenfalls deutlich darauf, dass sich die Ansprüche an die Bildungsangebote in unserer
Wissensgesellschaft verändern müssen.

Entsprechend liegt das zentrale Anliegen aktueller Schul- und
Unterrichtsentwicklungsvorhaben darin, nachhaltige Veränderungen hin zu einer Lehr- und
Lernkultur zu bewirken, in der Lernende zu aktiven Gestaltern ihrer eigenen Lernprozesse
werden und in der ihnen Lernerfahrungen eröffnet werden, die eine Vernetzung von
vorhandenen mit neuen Erfahrungen und Kenntnissen ebenso ermöglichen, wie
eigenständige Lösungen von Problemstellungen sowie die zielgerichtete und konstruktive
Zusammenarbeit mit anderen.

Daraus lassen sich wesentliche Prinzipien für das "neue" Lernen und Lehren ableiten, z.B. die
Einbeziehung der Interessen der Lernenden, die Individualisierung der Lernprozesse, die
Selbststeuerung und Selbsttätigkeit der Schülerinnen und Schüler, das Lernen in
Zusammenhängen an lebensweltlich bedeutsamen Inhalten, das Lernen mit- und voneinander,
wie auch der konstruktive Umgang mit Fehlern und die Akzeptanz unterschiedlicher Lern- und
Lösungswege. Bei allen diesen Grundsätzen geht es um die Entwicklung von Handlungs- bzw.
Lernkompetenz, für deren konkrete Umsetzung im Unterricht die nationalen Bildungsstandards
wichtige Orientierungspunkte darstellen.

Mit den oben angedeuteten Veränderungen in der Lehr- und Lernkultur müssen sich
zwangsläufig auch die traditionelle Lehrerrolle und das Selbstbild der Lehrerinnen und Lehrer
ändern. Wenn die Schule sich von einem Ort des primären (Be-) Lehrens in einen Ort des
gemeinsamen und stärker individualisierten Lernens wandelt, verstehen sich dabei
Lehrpersonen zunehmend als Begleiter und Organisatoren von Lernprozessen. Sie initiieren
und begleiten neue Lernformen, die gemeinsam mit anderen innerschulische Veränderungs-
und Lernprozesse systematisch voranbringen. Hierzu ist die Weiterentwicklung von Strukturen
kollegialer Kommunikation und Kooperation unabdingbare Voraussetzung, d.h. insbesondere
die systematische Bildung von Jahrgangs- und/ oder Fach-Teams.

Für einen erfolgreichen Wandlungsprozess in der Schule ist es wichtig, dass sich alle an einer
Schule Beteiligten als Teil einer "lernenden" Organisation verstehen und soweit wie möglich in
die inhaltlichen und strukturellen Veränderungsprozesse und deren Gestaltung eingebunden
werden. Dieser Verständigungsprozess muss kontinuierlich aufrechterhalten, fortlaufend
dokumentiert und reflektiert werden.

Eine nachhaltige Verbesserung der Unterrichtsqualität und eine wirksame Veränderung der
Lehr- und Lernkultur sind nur durch das Zusammenwirken von Unterrichtsentwicklung,
Organisationsentwicklung und Personalentwicklung möglich. Die dazu notwendigen
Innovationsprozesse stellen Schulen vor Herausforderungen, die sie allein nur schwer
bewältigen können. Die staatlichen Institutionen sind aus diesem Grund gefordert,
Unterstützungssysteme bereitzustellen, die für Schulen kompetente Beraterinnen und Berater
sowie Materialien und andere konkrete Hilfestellungen bieten.

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  1.2    Kompetenzbegriff und Kompetenzentwicklung 1

Kompetenzen sind vor allem erlernbare, kognitiv verankerte - weil wissensbasierte -
Fähigkeiten und Fertigkeiten, die auf eine erfolgreiche Bewältigung zukünftiger Anforderungen
in Alltags- und Berufssituationen zielen. Über derartige Anforderungen sind Kompetenzen
funktional bestimmt, erlernbar und überprüfbar.

Handeln als reflektierte Anwendung von Fähigkeiten und Fertigkeiten in Verbindung mit
Wissen bewirkt sowohl eine Entwicklung des Wissens als auch des Handelns. Erfahrungen
werden beim Handeln vor dem Hintergrund von vorhandenem Wissen und Können reflektiert
und kontinuierlich verändert.

Abb. 1: Entwicklung von Kompetenzen

Der Kompetenzbegriff integriert nicht nur Wissen und Handeln, sondern umfasst darüber
hinaus auch Interessen, Motivationen, Werthaltungen und soziale Bereitschaften. Dabei wird
die soziale Bereitschaft nach Weinert2 in den Kompetenzbegriff integriert, da schulisches
Lernen und schülerbezogene Kompetenzen nicht nur "effektiv" sondern auch "sozial
verträglich" gefördert werden sollen.

In der Tradition deutscher Pädagogik fällt der Kompetenzbegriff nicht zwangsläufig mit einem
Wissensbegriff zusammen: Etwas zu wissen bedeutet nicht gleichzeitig, auch etwas zu können.
Der Kompetenzbegriff ist somit eigenständig und betont Fähigkeiten, Fertigkeiten und
wissensbasierte Handlungen. Er gehört zu den klassischen Bildungszielen in der deutschen
Pädagogik und Fachdidaktik.

Kompetenzentwicklung bedeutet zuallererst die gezielte Verarbeitung von Wissen, dazu sind
besondere Situationen und funktionale Aufgaben zu schaffen. Diese "Verarbeitung" hat zur
Voraussetzung, dass bereits beim Lernen "verarbeitet" wird, also mit diesem Wissen Aufgaben
gelöst werden und so Wissen angewendet wird. "Kennen" oder "erklären" von Wissen ist eine
notwendige Grundlage für die Entwicklung von Kompetenzen, aber in keiner Weise schon die
Kompetenz selbst oder ihr Nachweis.

Der berechtigte Einwand, unter der Perspektive praktischer und technischer Rationalität
allgemeine Bildungsprozesse zu unterlaufen, trifft dann zu, wenn das Ziel
"Kompetenzentwicklung" aus seinem bildungstheoretischen und pädagogischen
Zusammenhang herausgelöst wird. "Instrumentelle Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten
sind Teil eines allgemeinen Bildungsbegriffs"3, zu dem notwendiger Weise Begriffe wie
"Autonomie", "Mitbestimmung", "Mitverantwortung" oder "Solidarität" gehören. Unter dieser
Perspektive von schulischer Bildung wird funktionales, effektives, kompetentes Handeln auf
hohem Wissensniveau ein emanzipatorisches Ziel.

Der dargestellte Kompetenzbegriff lässt sich auf Praxisbereiche verschiedener
Personengruppen beziehen (Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte, Beraterinnen und Berater
sowie deren Ausbilderinnen und Ausbilder). Von daher sind Lehr-/ Lernarrangements mit zum
Teil unterschiedlichen Inhalten für die Kompetenzentwicklung notwendig.

1 Im for.mat-Grundlagenteil findet sich zu diesem Themenkomplex ein ausführlicher Text
 (Bünder, Klinger, Uhl-Kling)."

2 Vgl. Weinert (2001), 17-31.
3 Klafki (1994), 74ff.
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  1.3    Beraterinnen und Berater für Unterrichtsentwicklung
 unterstützen Schulen

In der Vergangenheit wurde die Qualität von Schulbildung in Deutschland und anderen
Ländern vor allem durch die detaillierte Vorgabe von Inhalten, Organisations- und
Verfahrensvorgaben gesichert. Die Ergebnisse, die diese Vorgehensweise hervorbrachte,
wurden jedoch nicht ausreichend wahrgenommen. Daher waren die negativen Resultate der
internationalen Vergleichsstudien für viele überraschend. Es zeigte sich: Komplexe soziale
Systeme - wie es Schulen sind - benötigen Steuerungsinstrumente, die den Akteuren in diesen
Institutionen verlässliche Informationen über den Stand und die Richtung ihrer aktuellen
Entwicklung geben. Dies ist notwendig, da letztlich derartige Systeme nicht von außen,
sondern vor allem von innen durch die Beteiligten selbst verändert werden.4

Die Einführung der Bildungsstandards führt zu einer Neuausrichtung des pädagogischen
Handelns, bei dem die Input-Steuerung zunehmend an Bedeutung verliert. An ihre Stelle tritt
die so genannte Output-Orientierung als Steuerungsinstrument, bei der der funktionale
Erwerb von Kompetenzen und die dazu zu erbringenden Leistungen der Schülerinnen und
Schüler stärker in den Blick genommen werden.
Heute hat Unterricht als zentrale Zielprojektion die Vermittlung von Kompetenzen, d.h. von
Fach-, Sach-, Lern- und Methodenkompetenzen sowie von personalen und sozialen
Kompetenzen. Dahingehend orientierter Unterricht muss vom angestrebten Ziel her gedacht
und gleichsam "rückwärts geplant" werden. Auch muss er als Angebot gesehen werden,
dessen Ertrag nicht nur maßgeblich von seiner Gestaltung, sondern auch von der Nutzung
abhängt5: "Wir wissen heute um die Heterogenität der Lerner, die unterschiedlich begründet
ist (Vorwissen, Lerntyp, Lernmotivation), wir verstehen das Lernen als einen individuellen,
interaktiven, teilweise konstruktiven Vorgang, und wir sehen den Lerner als den für das
Lernen verantwortlichen Autor"6.

Diese veränderte Sicht auf Unterricht und Lernprozesse setzt ein nachhaltiges Umdenken auf
Seiten der Lehrpersonen voraus. Wenn der Unterricht alle Lernenden so ansprechen und
ausrüsten soll, dass sie Anforderungen erfolgreich selbstständig bewältigen können, muss er
sukzessive alle hierzu notwendigen Kompetenzen vermitteln und immer wieder Gelegenheiten
bieten, das erworbene Wissen anzuwenden, das Können unter Beweis zu stellen und durch
intelligentes Üben zu kultivieren7.
Die Lehrkräfte einer Schule sind daher aufgefordert, die in den Bildungsstandards
festgelegten allgemeinen und fachspezifischen Bildungsziele zu interpretieren und für den
Unterricht handhabbar und überprüfbar zu machen. Als Orientierungsrahmen dienen
gemeinsam zu entwickelnde schulinterne Curricula bzw. Arbeitspläne. Diese Prozesse müssen
sowohl im ganzen Kollegium als auch in den einzelnen Fachschaften erfolgen8.

Hier ist Beratungsbedarf entstanden, der auf die Durchführung eines kompetenzorientierten
Unterrichts und damit verbunden auf eine veränderte Planung der Lehrkräfte zielt. Die
gemeinsame Entwicklung von bzw. der Umgang mit den auf Kompetenzen basierenden
schulinternen Curricula bringt darüber hinaus neue Herausforderungen für die Lehrkräfte im
Bereich der Methoden-, Team- und Kommunikationskompetenzen mit sich.
Daher bieten die Beraterinnen und Berater für Unterrichtsentwicklung ihre Unterstützung im
Sinne einer umfassenden Unterrichtsberatung an, die sowohl fachliche wie auch überfachliche
Elemente integriert und primär auf die Verbesserung der Unterrichtsqualität hin orientiert ist.
Als unabhängige Beratungsinstanz greifen sie bereits vorhandene Ansätze der Schulen auf
und initiieren bzw. unterstützen weitere Entwicklungsschritte im Sinne der oben dargestellten
Kompetenzorientierung auf Lehrer- und Schülerebene.

Da in den Bundesländern unterschiedliche Traditionen sowie Tätigkeitsfelder und -profile von
Beratungspersonen existieren, wird im Folgenden das Grundverständnis dargestellt, auf dem
das Kompetenzprofil und das im Anschluss dargestellte Qualifizierungskonzept für
Beraterinnen und Berater für Unterrichtsentwicklung beruhen.

I Zentrale Zielsetzungen der Beratungstätigkeit

Die Beraterin/ der Berater

  • unterstützt auf Initiative der Schule diese bei der Weiterentwicklung der Qualität des
    Unterrichts unter Berücksichtigung der innerschulischen Prozesse im Hinblick auf
    kompetenz- bzw. standardbasiertes Lehren und Lernen
  • unterstützt Lehrkräfte, Lehr-/ Lernprozesse so zu gestalten, dass die Schülerinnen und
    Schüler eigenverantwortlich lernen können
  • unterstützt bei der Reflexion und Weiterentwicklung der Arbeitsprozesse

II Adressaten der Beraterinnen und Berater für UE

  • Fachgruppen, Fachkonferenzen, Fachschaften
  • Vorsitzende von Fachgruppen, Fachkonferenzen, Fachschaften
  • Teams, z.B. Jahrgangsteams
  • Steuergruppen
  • Gesamtkonferenzen
  • Schulleitungen, Schulleitungsteams
  • Regionale Netzwerke

III Grundhaltungen der Beraterin / des Beraters

Die Beraterin/ der Berater

  • sieht Schule als Ort, an dem Lernen für alle Beteiligten ermöglicht wird
  • hat eine wertschätzende Grundhaltung und zeigt eine offene, konstruktive Einstellung
    zu Innovationen und Veränderungsprozessen
  • sieht Schule als ein komplexes System, in dem Menschen agieren und ist sich ihrer/
    seiner Verantwortung bewusst, die sich aus Veränderungsprozessen für die Beteiligten
    ergeben
  • übernimmt Verantwortung für die Qualität des Beratungsprozesses mit dem Ziel, dass
    die Schule die Entwicklungsprozesse eigenständig steuern kann
  • ist bereit, eigene Haltungen, Methoden und Vorgehensweisen zu überdenken und zu
    reflektieren
  • ist bereit, die Qualität ihrer/ seiner eigenen Arbeit durch Selbstreflexion und Feedback
    weiterzuentwickeln und sieht sich selbst in der Rolle der/ des lebenslang Lernenden
  • hat ein reflektiertes Rollenverständnis

IV Vorgehensweisen in der Beratungstätigkeit

Die Beraterin/ der Berater

  • macht sich ein Bild von der Ausgangssituation
  • stellt Transparenz bezüglich Rolle, Auftrag, Vorgehensweisen, Methoden und
    Prozessschritte in der Beratungstätigkeit her
  • trägt dazu bei, dass Schulen selbstständig weiter arbeiten können
  • stärkt die Selbstgestaltungskompetenz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
  • arbeitet prozess- und teilnehmerorientiert
  • bearbeitet Situationen so, dass die Beteiligten neue Handlungsoptionen erkennen und
    umsetzen können
  • schafft Lern- und Arbeitssituationen, in denen Vielfalt als Bereicherung verstanden
    wird
  • arbeitet zielorientiert und exemplarisch
  • interagiert mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern lösungs- und
    entwicklungsorientiert
  • unterstützt bei der Entwicklung von Konzepten und Umsetzungsschritten
  • unterstützt dabei, Strukturen zu schaffen, die eine nachhaltige Wirkung ermöglichen
  • unterstützt beim Auf- und Ausbau einer Feedback- und Evaluationskultur
  • vermittelt bei Bedarf Experten
4 Vgl. Brüsemeister, Eubel (Hrsg.) (2003).
5 Vgl. Helmke (2006), 43.
6 Leupold (2007), 42.
7 Vgl. Lersch (2007), 37.
8 Vgl. Kleinschmidt-Bräutigam, Meierkord (Hrsg.) (2006).
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